Von Nora Kneisel
Wir alle wissen um die Krisen, die der Klimawandel auf unserem Planeten verursacht. Waldbrände, nicht nur in Australien, sondern auch in Brandenburg. Sturmfluten, nicht nur in Indonesien, sondern auch an der Nordsee. Dürre, nicht nur in Somalia, sondern auch in Hessen. Und wir wissen auch, wer diese Krisen verursacht.
Einfach gesagt beschreiben sie Grenzwerte deren Überschreiten eine Art Dominoeffekt auslösen würde. Die kippenden Elemente sind dabei bestimmte Teilsysteme des Klimasystems. Dazu gehören zum Beispiel die Eisschilde der beiden Pole, die Permafrostböden Russlands und Kanadas, aber z.B. auch der Amazonasregenwald und die tropischen Korallenriffe. Diese Systeme halten sich trotz der ständig steigenden Klimaerwärmung relativ stabil und reagieren nur wenig auf Veränderungen – bis der Dominostein umgestoßen wird. Eine winzige Veränderung reicht aus, damit der Zustand des Systems sich rapide verschlechtert, was aufgrund der zentralen Rolle der Kippelemente im Klimasystem fatale Auswirkungen auf den Klimawandel haben und ihn noch schneller vorantreiben würde – vor allem weil die Veränderung, die entstehen, wenn die Kipppunkte überschritten sind kaum oder gar nicht mehr umkehrbar sind.
Wir. Wir Menschen. Der menschgemachte Klimawandel ist die existenziellste Bedrohung unserer und aller folgenden Generationen. Wir wissen, dass wir, als Gesellschaft, ständig mitverantwortlich sind für die anhaltende Zerstörung unseres Klimas. Wir wissen aber auch um die Folgen, die alle Menschen entweder schon betreffen oder es bald tun werden. Wie auch nicht, sie umgeben uns immer mehr, finden ihren Weg aus den Nachrichten vor unsere Haustür. Und auch, wenn der Klimawandel schon lange von der Weltgemeinschaft als gefährliches Problem anerkannt wurde und es zahllose Menschen, Organisationen und Regierungen gibt, die versuchen, ihn aufzuhalten, scheint es nicht zu funktionieren, sondern immer nur noch schlimmer zu werden. Und das stimmt auch. Die Gründe dürften den Allermeisten bekannt sein: Es wird zu wenig getan, um den Klimawandel zu stoppen, Regierungen beharren auf klimaschädliche Technologien, bestehende Gesetze sind zu lasch, die Bereitschaft der Bevölkerung, auf Privilegien zu verzichten, ist zu gering. Aber es gibt Grenzen, die, wenn sie überschritten werden, dafür sorgen, dass der Klimawandel noch schneller voranschreitet. Es sind die sogenannten klimatischen Kipppunkte.
Das Beispiel des Amazonasregenwaldes verdeutlicht, was geschähe, sollte dieses Klimasystem kippen: Schon heute sind die Ökosysteme der Regenwälder im Amazonasgebiet massiv vom Klimawandel geschädigt. Verschiedene Forschungsgruppen haben anhand von Satellitendaten und Messungen vor Ort herausgefunden, dass der Regenwald immer weniger Kohlenstoff speichern kann und stattdessen immer mehr abgibt. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist das Gebiet von ständigen Dürren betroffen, Bäume werden nicht mit genug Wasser versorgt und sterben ab. Zum anderen werden große Teile des Regenwaldes entwaldet, um die Gebiete landwirtschaftlich zu nutzen. Wenn die Flächen wieder bepflanzt werden, dann meist als Monokulturen, die kaum Wasser speichern können. Generell transportieren landwirtschaftliche Flächen viel weniger Wasser in die Atmosphäre als der Wald, was den Prozess der Austrocknung weiter beschleunigt. Dieser sich selbst verstärkende Prozess schwächt die Resilienz des Regenwaldes schon heute stark. Je mehr die Abholzung voranschreitet, desto näher rückt der Kipppunkt, ab dem das einzigartige Ökosystems des Amazonasregenwaldes verloren ist. Das wäre nicht nur aufgrund des riesigen Verlustes von Arten und Lebensräumen eine Katastrophe, sondern auch, weil der Amazonasregenwald einer der größten Kohlenstoffdioxidspeicher überhaupt ist. Einschätzungen verschiedener Wissenschaftler*innen zufolge belaufen sich die gespeicherten Mengen auf 80-120 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Das ist etwa so viel wie die Menge, die heutzutage in 8-12 Jahren global entsteht. Würden diese im Extremfall freigesetzt, hätte das sowohl regionale als auch globale Folgen auf das Klima. Die Wetterbedingungen würden sich verändern, weil der Amazonasregenwald ein wichtiger Teil des globalen Wasserkreislaufs ist. Dürren würden noch häufiger als ohnehin schon, an anderen Stellen würde es aber auch zu starken Überschwemmungen kommen, weil Regenwasser nicht mehr aufgenommen werden könnte.
Klimatische Kipppunkte als Phänomen sind in der Wissenschaft schon seit den 2000er Jahren ein Begriff. Erstmals eingebracht wurden sie von dem deutschen Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Genauer beschrieben wurde das Modell der Kipppunkte in einem 2008 erschienenen Fachartikel, der von britischen und deutschen Forscher*innen gemeinsam erstellt wurde. Insgesamt wurden bisher 19 mögliche klimatische Kipppunkte, die vor 2100 eintreten könnten, identifiziert. Die genaue Anzahl ist in der Forschung aber sehr umstritten. Viele Einrichtungen, wie zum Beispiel das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (Potsdam Institut for Climate Impact Research) sprechen von weniger Kipppunkten, z.B. nur von 14. Die Diskussionen um die genaue Anzahl sind vor allem aufgrund einer Grundeigenschaft der Kippelemente so groß. Anders als die meisten Folgen des Klimawandels (zum Beispiel zunehmende Wetterextreme, Hungersnöte usw.), die linear zu der steigenden Erderwärmung „wachsen“, reagieren die Kippelemente sehr exponentiell. Ihre Reaktion hängt immer von ihrem genauen, aktuellen Zustand ab. Man weiß zwar, dass es Grenzwerte gibt – aber man weiß nicht, wo sie liegen. So kann nie exakt auf die einzelnen Elemente reagiert werden, sicher ist nur, dass das Risiko, einen der Grenzwerte zu überschreiten, mit der steigenden Erderwärmung immer höher wird. Die einzige Möglichkeit, um das Überschreiten der Kipppunkte zu stoppen, ist also die Vorsorge, aber auch die vermehrte Forschung zu dem Thema. Denn noch ist viel zu wenig über die Kipppunkte, ihre Risiken und vor allem über die Zeitpunkte, an denen sie überschritten werden, bekannt. Die einzige sichere Aussage dazu ist, dass der Kippzeitpunkt unter anderem davon abhängt, wie viel CO2 in Zukunft ausgestoßen wird.
Diese Unsicherheiten sind auch ein Grund dafür, dass sich bis jetzt eher wenig mit dem System der klimatischen Kipppunkte beschäftigt wurde. Auf globaler Ebene wurden Folgen des Klimawandels erstmals 1992 in einer heute als „Erdgipfel“ bekannten Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema. Dabei wurde ein Grundstein gelegt für die internationalen Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel. Weitere Konferenzen folgten, und wichtige Protokolle, wie das Kyoto-Protokoll im Jahre 1997 wurden verabschiedet. Es enthielt verbindliche Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemission in Industrieländern. Der bis jetzt wohl wichtigste Schritt gelang 2015, als sich die Weltgemeinschaft in Paris als Ziel setzte, die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 bzw. 2,0°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.
Doch inzwischen sieht die Realität anders aus. Nicht nur ist das erfolgreiche Einhalten der 1,5°C-Grenze in den letzten Jahren immer unwahrscheinlicher geworden, auch die Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), des Gremiums der Vereinten Nationen zur Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Klimawandel, sehen nicht gut aus. Ging der IPCC 2001 noch davon aus, dass die Kipppunkte wahrscheinlich erst ab einer Erwärmung von 5°C erreicht würden, hieß es in Sonderberichten von 2018 und 2019, die Kipppunkte könnten bereits ab einer Erwärmung von 1-2°C erreicht werden. Werden auch andere Berichte des IPCC bedacht, sieht die Zukunft wirklich nicht mehr rosig aus. Aus dem sechsten Sachstandsbericht (AR6), geht heraus, dass der menschgemachte Klimawandel seit Beginn der Industrialisierung bereits zu einer Erderwärmung von 1,3°C geführt hat. Und eine Besserung scheint nicht in Sicht – zwar haben die größten Industriestaaten erkannt, dass große Veränderungen hin zur Klimaneutralität in Industrie, Wirtschaft und täglichem Leben nötig sind, um eine noch stärkere Veränderung unseres Klimas zu verhindern, aber es fehlt überall an der Durchsetzung der wichtigsten Maßnahmen, so zum Beispiel des Verzichts auf fossile Energieträger. Tatsächlich machen die aktuellen Maßnahmen eine Erderwärmung von bis zu 3,5°C viel wahrscheinlicher.
Wenn also bedacht wird, wie groß die Gefahr durch den Klimawandel für uns Menschen und für unsere schützenswerte Umwelt sind, wenn man sieht, wie schleppend die nötigen Maßnahmen für den Klimaschutz anlaufen, wenn man weiß, dass Vorsorge die einzige Möglichkeit ist, um die Überschreitung klimatischer Kipppunkte zu vermeiden, dann ist es ganz eindeutig: Es muss viel mehr getan werden, um die Katastrophe, die der Klimawandel ist, aufzuhalten. Dazu gehört zum Beispiel auch die genauere Beschäftigung mit klimatischen Kipppunkten und mit der Frage, ab wann sie überschritten werden. Ein guter Schritt, um diese Gefahr besser einschätzen zu können, wäre ein Sonderbericht des IPCC mit diesem Thema, denn auch die Wissenschaft weiß noch zu wenig über diese zusätzliche Gefahr. Die Verantwortung liegt bei den politischen Entscheidungsträgern überall auf der Welt und bei den Vereinten Nationen. Aber sie liegt auch bei allen von uns.
erschienenen Fachartikel, der von britischen und deutschen Forscher*innen gemeinsam erstellt wurde. Insgesamt wurden bisher 19 mögliche klimatische Kipppunkte, die vor 2100 eintreten könnten, identifiziert. Die genaue Anzahl ist in der Forschung aber sehr umstritten. Viele Einrichtungen, wie zum Beispiel das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (Potsdam Institut for Climate Impact Research) sprechen von weniger Kipppunkten, z.B. nur von 14. Die Diskussionen um die genaue Anzahl sind vor allem aufgrund einer Grundeigenschaft der Kippelemente so groß. Anders als die meisten Folgen des Klimawandels (zum Beispiel zunehmende Wetterextreme, Hungersnöte usw.), die linear zu der steigenden Erderwärmung „wachsen“, reagieren die Kippelemente sehr exponentiell. Ihre Reaktion hängt immer von ihrem genauen, aktuellen Zustand ab. Man weiß zwar, dass es Grenzwerte gibt – aber man weiß nicht, wo sie liegen. So kann nie exakt auf die einzelnen Elemente reagiert werden, sicher ist
nur, dass das Risiko, einen der Grenzwerte zu überschreiten, mit der steigenden Erderwärmung immer höher wird. Die einzige Möglichkeit, um das Überschreiten der Kipppunkte zu stoppen, ist also die Vorsorge, aber auch die vermehrte Forschung zu dem Thema. Denn noch ist viel zu wenig über die Kipppunkte, ihre Risiken und vor allem über die Zeitpunkte, an denen sie überschritten werden, bekannt. Die einzige sichere Aussage dazu ist, dass der Kippzeitpunkt unter anderem davon abhängt, wie viel CO2 in Zukunft ausgestoßen wird. Diese Unsicherheiten sind auch ein Grund dafür, dass sich bis jetzt eher wenig mit dem System der klimatischen Kipppunkte beschäftigt wurde. Auf globaler Ebene wurden Folgen des Klimawandels erstmals 1992 in einer heute als „Erdgipfel“ bekannten Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema. Dabei wurde ein Grundstein gelegt für die internationalen Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel. Weitere Konferenzen folgten, und wichtige Protokolle, wie das Kyoto-Protokoll im Jahre 1997 wurden verabschiedet. Es enthielt verbindliche Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemission in Industrieländern. Der bis jetzt wohl wichtigste Schritt gelang 2015, als sich die Weltgemeinschaft in Paris als Ziel setzte, die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 bzw. 2,0°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Doch inzwischen sieht die Realität anders aus. Nicht nur ist das erfolgreiche Einhalten der 1,5°C-Grenze in den letzten Jahren immer unwahrscheinlicher geworden, auch die Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), des Gremiums der Vereinten Nationen zur Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Klimawandel, sehen nicht gut aus. Ging der IPCC 2001 noch davon aus, dass die Kipppunkte wahrscheinlich erst ab einer Erwärmung von 5°C erreicht würden, hieß es in Sonderberichten von 2018 und 2019, die Kipppunkte könnten bereits ab einer Erwärmung von 1-2°C erreicht werden. Werden auch andere Berichte des IPCC bedacht, sieht die Zukunft wirklich nicht mehr rosig aus. Aus dem sechsten Sachstandsbericht (AR6), geht heraus, dass der menschgemachte Klimawandel seit Beginn der Industrialisierung bereits zu einer Erderwärmung von 1,3°C geführt hat. Und eine Besserung scheint nicht in Sicht – zwar haben die größten Industriestaaten erkannt, dass große Veränderungen hin zur Klimaneutralität, in Industrie, Wirtschaft und täglichem Leben nötig sind, um eine noch stärkere Veränderung unseres Klimas zu verhindern, aber es fehlt überall an der Durchsetzung der wichtigsten Maßnahmen, so zum Beispiel des Verzichts auf fossile Energieträger. Tatsächlich machen die aktuellen Maßnahmen eine Erderwärmung von bis zu 3,5°C viel wahrscheinlicher.
Wenn also bedacht wird, wie groß die Gefahr durch den Klimawandel für uns Menschen und für
unsere schützenswerte Umwelt sind, wenn man sieht, wie schleppend die nötigen Maßnahmen für den Klimaschutz anlaufen, wenn man weiß, dass Vorsorge die einzige Möglichkeit ist, um die Überschreitung klimatischer Kipppunkte zu vermeiden, dann ist es ganz eindeutig: Es muss viel mehr getan werden, um die Katastrophe, die der Klimawandel ist, aufzuhalten. Dazu gehört zum Beispiel auch die genauere Beschäftigung mit klimatischen Kipppunkten und mit der Frage, ab wann sie überschritten werden. Ein guter Schritt, um diese Gefahr besser einschätzen zu können, wäre ein Sonderbericht des IPCC mit diesem Thema, denn auch die Wissenschaft weiß noch zu wenig über diese zusätzliche Gefahr. Die Verantwortung liegt bei den politischen Entscheidungsträgern überall auf der Welt und bei den Vereinten Nationen. Aber sie liegt auch bei allen von uns.